(Anlass für diese Kurzgeschichte ist die Verleihung des
Physiknobelpreises 2022)
»Verschränkt« oder »Beschränkt«, das ist hier die Frage
Da es um Physiker, um den Nobelpreis und um bestimmte Eigenschaften äußerst merkwürdiger Teilchen geht, fällt beschränkt vermutlich aus. Diese erwähnten Teilchen verhalten sich nämlich so verrückt, dass sogar ein Herr Einstein, dem man wohl keinesfalls das Attribut beschränkt zuordnen würde, der festen Meinung war, das Ganze sei ein Spuk, genauer: eine spukhafte Fernwirkung. Doch Physiker zeigten mit ihren Experimenten, dass der Spuk real ist. Drei von ihnen bekamen dafür den Nobelpreis 2022 für Physik. Die heißen Anton Zeilinger, John Clauser und Alain Aspect.
Zeilingers Job könnte man als Reisebürokaufmann definieren. Jedenfalls beschäftigte er sich damit, nicht Menschen sondern kleinste physikalische Teilchen auf die Reise zu schicken. Und weil er damit rechnete, dass die Fluggesellschaften deren Koffer mal wieder verlieren würden, schickte er sie ohne Gepäck los. Er versprach das Gepäck später nachzuschicken. Allerdings enthielt das nachgeschickte Gepäck keine Klamotten, Zahnpasta oder Haarbürste, sondern Informationen. Klamotten hätten auch keinen Sinn ergeben, denn seine Teilchen waren nicht mikroskopisch klein sondern viel viel kleiner.
Und dann zeigte er etwas, das die Welt, zumindest die physikalisch angehauchte, in Erstaunen versetzte:
Er schickte die Informationen gar nicht selbst nach, sondern versorgte zuhause gebliebenen Teilchenkumpel der Reisenden damit. Die waren nämlich mit den Teilchen, die sich inzwischen weit entfernt befanden, irgendwie verbunden. Diese Verbundenheit bewirkte, dass die Informationen sofort bei den Fernreisenden ankamen. Und das ›Sofort‹ ist wörtlich zu nehmen, es verging nämlich keine Zeit.
Star-Treck-Fans waren begeistert und meinten er müsse mit Vornamen nicht Anton sondern Scotty heißen, nach dem Motto ›Beam me up, Scotty!‹, denn Anton Zeilinger hatte als erster experimentell gezeigt, dass man Eigenschaften von kleinsten Teilchen, zu denen unter anderem auch Lichtteilchen gehören, teleportieren kann, ohne Zeitverlust und über beliebige Distanzen. Damit hat er die Teleportation nachgewiesen, zwar nicht die von Menschen, wie es die Star-Treck-Fangemeinde gern gehabt hätte, sondern von Informationen. Einsteins Spuk hat sich somit als real erwiesen.
Wie das so bei Wissenschatlern ist, die eine neue Erkenntnis gewonnen haben, gibt es immer welche, die nach dem Haar in der Suppe suchen. So vermuteten einige, dass das Ganze doch ein Spuk sei und dass beide Teilchen in Wirklichkeit die Information schon vorher gehabt hätten, wenn auch unsichtbar. Und das nennen sie dann versteckte Variablen.
Da kam John Clauser ins Spiel, der zweite Preisträger. Der wies zu seinem eigenen Bedauern experimentell nach, dass die Teilchen verbunden bleiben, egal was man macht oder welche Variablen man ins Spiel bringt. Er bedauerte das, weil er eine Wette verloren hatte. Er hatte nämlich gewettet, dass seine Experimente doch zu versteckten Variablen führen würden. Seine Versuche bewiesen leider das genaue Gegenteil und er musste kleinlaut die enorme Wettschuld von unglaublichen zwei Dollar gegenüber seinem Physiker-Kollegen namens Yakir Aharonov begleichen.
Doch immer noch gab es Zweifler. So würden ja nicht alle erzeugten Teilchen überhaupt aufgefangen und gemessen werden. Was wäre wenn in den Versuchen bestimmte Vorlieben entwickelt würden, die dazu führten, das nur bestimmte Paare ausgewählt und gemessen würden, andere ignoriert. Auch so könnte die Korrelation zwischen den Messwerten entstehen.
Da gab es aber noch den dritten im Bunde, den Franzosen Alain Aspect. Der verfeinerte den gesamten Messbereich mit deutlich verbesserten Apparaturen und zeigte unzweifelhaft, dass die Fernwirkung, die Einstein so störte, real ist.
Bleibt noch die Frage, wer denn da angeblich gespukt hat. Nun, diese spukenden Geister nennen die Physiker Quanten. Das ist nicht neu. Die Physiker arbeiten seit hundert Jahren damit, allerdings ohne sie wirklich zu verstehen. Aber sie sind in der Lage diese Teilchen mit Informationen zu füttern. Und wenn sie so eine Information einem Teilchen geben, passiert es eben, dass ein zweites Teilchen, das sich beliebig weit entfernt aufhält, so in Amerika, auf dem Mond oder sonstwo, sofort, also ohne dass Zeit vergeht, dieselbe Information erhält, Das kann man daher mit Informations- oder Quantenteleportation bezeichnen. Der Physiker sagt dann: Diese Teilchen, die zum Beispiel Photonen oder Lichtquanten sein können, sind eben nicht beschränkt sondern verschränkt.
Aber die Tatsache, dass Informationen verzögerungsfrei übermittelt werden können, hat einen traurigen Nebeneffekt. Sie treibt nämlich der gesamten Hacker-Community dieser Welt Tränen in die Augen. Wie soll man Daten abgreifen, die bei ihrer Übertragung keinen Weg und keine Zeit zurücklegen?
Und da das Ganze real ist, steckt man den Hackern dieser Welt die Zunge heraus und entwickelt mit Hilfe der Quantenphysik nicht nur die perfekte Verschlüsselung sondern baut auch bereits Computer, sogenannte Quantencomputer, die unvorstellbar schnell sind und unvorstellbare Mengen an Daten verarbeiten können.
Das Ganze spielt sich also im Rahmen der Quantenphysik oder Quantenmechanik ab. Das Blöde ist nur, dass die einsteinsche Physik auf Grundlage der Relativitätstheorie mit der Quantenphysik nicht kompatibel ist.
Wer also Lust auf einen zukünftigen Nobelpreis für Physik hat, sollte sich hinsetzten und eine Theorie ausbaldowern, die beides vereint. Der Nobelpreis wäre ihr oder ihm sicher.
Ulli Kammigan 10/2022