Das Tabea-Krankenhaus in Blankenese hatte frühmorgens nach meiner Anwesenheit verlangt, weil vier Wochen vorher Oberärztin G. (G-Punkt!) festgestellt hatte, dass jeweils eine Beinvene, vorlaut wie sie ist, die Klappe – also Venenklappe – nicht mehr halten konnte. Operation sei angesagt! Und zwar am 31. März 2022. Meine bessere Hälfte hatte sich bereit erklärt, mich zu kutschieren. Doch leider hatte der 31. März beschlossen, Hamburg in ein Schneechaos zu stürzen, obwohl man hierzulande Schnee eher vom Hörensagen kannte. Die bessere Hälfte hatte nun keine Traute mehr, die Kutsche zu bewegen, und ein Taxi musste her. Das Taxi, genauer der Fahrer, stand auch nach erstaunlichen sechs Minuten auf der Matte. Es hatte sich im Taxengewerbe wohl so früh und bis Niendorf noch nicht rumgesprochen, dass es taxi-mäßig ein Traumtag werden sollte.
Also schlug ich pünktlich um 7.30 Uhr bei der blankeneser Tabea auf und bekam auch gleich meine Luxus-Erster-Klasse-Räumlichkeit zugewiesen. Einige Halbestunden später machte ich mich auf und fragte bei der Rezeption nach sowohl Arzt als auch Untersuchung. Nach kurzer Zeit stand auch eine junge und hübsche Ärztin vor mir. Eigentlich stand ich vor ihr auf einer Art Siegertreppchen, und sie malte Linien auf mein rechtes Bein, dort, wo vermutlich meine vorlaute Vene sich ihren Weg durch mein Bein bahnte. Dann fummelte sie mit Glibber und Ultraschallgerät an meinem edlen Gehwerkzeug herum. Und stutzte. Sie fummelte nochmals, stutzte wieder und schüttelte ihren hübschen Kopf. Nach weiterem, mehrmaligen Gefummel stand sie auf, murmelte was von ›ich hole mal den Chefarzt‹ und verschwand.
In Kürze kam sie dann auch im Schlepptau des Obermuftis der tabeanischen Venenabteilung zurück. Nun machte letzterer sich ebenfalls mit Glibber und Ultraschall über mein Bein hin und her, fragte dies und das und entschied schließlich laut dozierend, dass es durchaus im Sinne des Krankenhauses wäre, die Operationen durchzuführen, ich wär ja schließlich 1.Klasse-Patient, an dem die Einrichtung endlich wieder was verdienen könnte. Dummerweise hätte er aber mal so etwas wie den Hippokratischen Eid abgelegt und der besagte, dass das Wohl des Krankenhauses erst an zweiter Stelle zu stehen habe, An erster stehe das Wohl des Patienten. Und der Halbgott in Weiß tat kund, dass die Operationen eher nicht zu meinem Wohl gehörten und nicht unbedingt meine Beschwerden der ständig juckenden Beine lindern würden, denn meine Zweitvene sei zwar etwas schmal aber intakt. Hinzu käme, dass so etwas wie Krampfadern und meine Beine keinerlei Gemeinsamkeiten hätten. Er würde also von einer Operation abraten, es sei denn, ich bestünde darauf.
Ich bestand natürlich nicht darauf. Im Gegenteil, ich wäre ihm am liebsten – nein, doch lieber der schönen Ärztin – um den Hals gefallen.
Also packte ich meine Siebensachen und wollte an der Rezeption ein Taxi ordern. Doch da war ich an der falschen Adresse. In ganz Hamburg sei kein Taxi zu bekommen, wurde mir gesagt und das nächste Taxi könnte erst in etwa zwei Stunden am Krankenhaus sein. Also ab zum ÖPNV, zum Öffentlichen Personen Nahverkehr. Eine Haltestelle befand sich in der Straße, von der aus die Sackgasse zum Krankenhauseingang führte. Straße und Sackgasse verstopfte jedoch ein Laster mit Anhänger, der in der Abzweigung wegen parkender Autos festsaß. Nicht einmal Fußgänger kamen mehr durch. Es hatte sich schon eine Traube Wartender gebildet. Nach etwa einer Viertelstunde traute einer sich was. Er nahm sein Köfferchen über den Kopf und quetschte sich mit eingezogenem Bauch zwischen LKW und parkendem Auto hindurch. Folglich zogen die nächsten ihren Bauch ein, wenn sie es denn noch konnten, und erreichten die rettende Straße, die ebenfalls vom Anhänger komplett blockiert war. Lange Autoschlangen hatten sich auf beiden Seiten gebildet. Durch Schnee und Matsch erreichte ich die Bushaltestelle. Laut Fahrplan kam der Bus in 20 Minuten. Das konnte aber nicht sein, da die Straße seit etwa 30 Minuten blockiert war. Und siehe da: Ich lasse meinen Blick auf die andere Seite der Blockade schweifen und da steht in der langen Reihe der wartenden Fahrzeuge tatsächlich auch mein Bus. Und nach einer halben Stunde Hin-und-Her-Ruckelns gibt der Anhänger zumindest eine Seite der Straße frei und die Fahrzeuge können wechselweise passieren. So gelange ich nach einer Tour durch Rissen und Blankenese tatsächlich zum S-Bahnhof und erfreue mich auf dem Bahnsteig an der Anzeige, dass kein Zugverkehr Richtung Altona stattfindet. Ein Bus-Ersatzverkehr sei eingerichtet. Ist er auch, jedoch mit der Anzeige, dass dieser wegen Staus und Unfällen auf der Strecke nur unregelmäßig stattfinden kann. Wie unregelmäßig, konnte man daran erkennen, dass der Bahnhofsvorplatz schwarz vor Menschen war. Dann endlich kam ein Bus. Aber kein Ersatzverkehr sondern ein regulärer Linienbus mit Zielanzeige ›Bahnhof Altona‹. Die Masse stürmt das Fahrzeug. Die Menschen stehen eng an eng wie die Sardinen in der Dose und die Türen gehen nicht zu. Endlich verzichten einige Passagiere, geben den Türbereich frei und hoffen auf den nächsten Bus.
Dann endlich konnte die mehr als zweistündige Sight-Seeing-Tour durch Hamburgs westliche Stadtteile wie Iserbrook, Osdorf, Klein-Flottbek, Bahrenfeld, Othmarschen und Altona mit Abstechern zu allen auf dem Wege liegenden Krankenhäusern beginnen. Es geht durch bewohnte Gegenden aber auch an Feldern und Wiesen vorbei, die man wegen der beschlagenen Scheiben aber nur erahnen kann. Der Bus hält an etlichen Haltestellen, nur steigt niemand aus. Die wohlige Enge bleibt daher bis Altona erhalten.
Ab Altona läuft alles normal. U- und S-Bahnen fahren planmäßig und ich erreiche nach insgesamt fast vier Stunden mein Ziel Niendorf-Nord, wo meine bessere Hälfte mich abholt, weil ein Teil des Schnees bereits geschmolzen ist.
Ach ja! Ich soll nicht mehr ohne Stützstrümpfe ein Flugzeug für einen längeren Flug betreten. Hab ich auch mit Stützstrümpfen nicht vor. Das Gefühl der Sardinen in der Büchse hat mir gereicht. Es sind schließlich Corona-Zeiten.
1. April 2022